Entdeckungen im Urlaub I.
Caspar David Friedrich ohne Warteschlange
Er gilt als der Romantiker unter den deutschen Malern und vermutlich haben selbst wenig Kunstinteressierte schon verschiedentlich mindestens Reproduktionen von Werken von ihm gesehen.
Den allbekannten »Wanderer über dem Nebelmeer« (entstanden um 1817/18) etwa, den man bei einem großen Internetanbieter nicht nur in einer Vielzahl von unterschiedlichen Formaten (von der Postkarte bis zum Groß-Poster) erwerben kann, sondern auch auf Handyhüllen, Bettwäsche oder Vorhänge gedruckt … Dass demnach der 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich (1774–1840), der auf den 5. September 2024 fällt, sehr viel Aufmerksamkeit erfährt, verwundert nicht. Die Alte Nationalgalerie in Berlin, die Kunsthalle in Hamburg, das Albertinum in Dresden – sie alle boten oder bieten große Werkschauen an, die gewaltige Publikumserfolge wurden. Die Hamburger Ausstellungsmacher hatten natürlich einen großen Vorteil, denn das Original des »Wanderers« ist seit 1970 Eigentum der Kunsthalle. Dementsprechend strömten dort bis Anfang April 2024 rund 335.000 Interessierte in die Ausstellung zu Caspar David Friedrich. In die Alte Nationalgalerie kamen bis Anfang August fast 300.000 Besucherinnen und Besucher. Und in beiden Fällen hätten es wohl noch bedeutend mehr sein können, allein es gab keine Karten mehr. Trotz des beschränkten Kartenangebots gab es lange Warteschlangen.Warum also nicht lieber in eine Ausstellung über Caspar David Friedrich einfach hineinspazieren, ganz ohne Wartezeit an der Kasse? Das war (und ist) möglich im »Pommerschen Landesmuseum in Greifswald.
Pommersche Landesmuseum Greifswald
Zugegeben: Den »Wanderer« und andere bekannte Werke Friedrichs gibt es dort nicht im Original zu sehen. Aber Greifswald hat gegenüber Berlin und Hamburg einen unschätzbaren Vorteil: Es ist Friedrichs Heimatstadt. In der pommerschen Universitätsstadt (seit 1456) wurde er geboren und ist dort aufgewachsen, bis er 1794 als 19-Jähriger zum Malereistudium nach Kopenhagen ging. Greifswald ist also erst einmal der Ort, um sich an Caspar David Friedrich und dessen Leben anzunähern, auch weil er später immer wieder zu familiären Besuchen dort war. Da kann allenfalls Dresden mithalten, wo Friedrich seit 1798 fast durchgängig lebte und 1840 auch starb. Wer also – gewissermaßen nebenbei – die Stelle sehen möchte, wo einst das Geburtshaus des großen Künstlers stand (und heute das Caspar-David-Friedrich-Zentrum beheimatet ist) oder wer mit dem gewaltigen Dom St. Nikolai (erbaut zwischen 1250 und 1410) den Ort besuchen möchte, wo Friedrichs Eltern 1765 geheiratet haben und wo sie am 7. September 1774 das sechste ihrer insgesamt zehn Kinder taufen ließen, der kommt an Greifswald nicht vorbei. Und wer dort St. Nikolai besucht, darf sich auch gleich von den im April 2024 förmlich eingeweihten neuen Fenstern im Ostgiebel beeindrucken lassen, die der dänisch-isländische Künstler Ólafur Elíasson (geb. 1967) gestaltet hat. Elíasson, der wie Caspar David Friedrich in Kopenhagen Kunst studiert hat, hat sich bei der Gestaltung und insbesondere der Farbgebung der Fenster intensiv mit dem Farbspektrum einiger Werke Friedrich auseinandergesetzt und so eine Hommage besonderer Art geschaffen1 (https://www.ndr.de/kultur/Fenster-von-Olafur-Eliasson-in-Greifswalder-Dom-eingeweiht,eliasson166.html und Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 183 vom 8. August 2024, S. 13). Und auch das ohne Warteschlange, sogar ohne Eintrittsgeld, einfach so … oder auch um des heiligen Ortes willen2 (www.dom-greifswald.de/startseite.html).
Der Besuch der Stadt insgesamt lohnt sich ohnehin in jedem Fall. Denn zwar wurde Greifswald, das um die Mitte des 13. Jahrhunderts begründet wurde, im Laufe seiner Geschichte mehrfach durch Kriegsereignisse schwer in Mitleidenschaft gezogen, den Zweiten Weltkrieg hat die Stadt aber erstaunlicherweise fast unbeschadet überstanden (ganz im Unterschied etwa zum nahe gelegenen Stralsund). Der massive Verlust an historischer Bausubstanz trat erst danach ein, als nämlich die SED-Machthaber in der DDR rigoros abreißen ließen, was zu erhalten ihnen der Wille und die Mittel fehlten. Geblieben ist gleichwohl vieles (neben St. Nikolai etwa die nicht minder imposante St. Marienkirche, errichtet zwischen 1250 und 1380). Zwar hat Greifswald heute nur knapp 60.000 Einwohner, wirkt aber trotzdem »jung« und lebendig, denn etwa 10.000 davon sind Studierende der traditionsreichen Universität.
Und selbst wenn gerade kein Caspar David Friedrich-Hype herrscht, ist schon allein das Pommersche Landesmuseum unbedingt ein lohnendes Ziel. Denn einerseits stellt das 1996 begründete und 2005 eröffnete Museum eine überaus gelungene Mischung aus älterer, überwiegend aus dem 19. Jahrhundert stammender und sehr moderner Architektur dar. Es ist also schon als Gebäudekomplex sehenswert. Zudem kann man sich natürlich umfassend über die Geschichte Pommerns informieren, die ja – ähnlich wie im Falle Schlesiens – ein komplexes, weit zurückreichendes deutsch-polnisches Thema darstellt (im Falle Pommerns sogar ein deutsch-schwedisch-polnisches Thema). Da stößt man dann etwa auf Klaus von Bismarck (1912–1997), der manch einem hierzulande noch als langjähriger Intendant des WDR oder Präsident des Evangelischen Kirchentages im Gedächtnis sein mag, der aber eben aus Pommern stammte (genauer aus der Nähe des heute polnischen hinterpommerschen Naugard/jetzt Nowogard). Über seine Prägung in Pommern hat Klaus von Bismarck ein noch immer höchst lesenswertes Buch geschrieben (Aufbruch aus Pommern. Erinnerungen und Perspektiven, München, Zürich 1992; natürlich auch in der Bibliothek des Gerhart-Hauptmann-Hauses verfügbar).
Die Ostseeregion wird hier auch als Naturraum fassbar gemacht. Und schließlich kombiniert das Museum den historischen Bereich mit einer sehenswerten Gemäldegalerie, die zwar den »Wanderer« nicht ihr eigen nennen kann, immerhin aber einige andere Originale von der Hand Caspar David Friedrichs, darunter frühe Zeichnungen, die es nur dort zu sehen gibt. Daneben gibt es auch Werke von Zeitgenossen Friedrichs, so von Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), oder auch Arbeiten wichtiger Künstlerinnen und Künstler des 20. Jahrhunderts, beispielsweise von Max Pechstein (1881–1955), der zwar aus dem sächsischen Zwickau stammte, aber längere Zeit in Pommern gelebt und gearbeitet hat.
Friedrich II.
Zwischendurch ein wenig verschnaufen, das kann man natürlich auch im Pommerschen Landesmuseum. Dazu bietet sich – zunächst überraschend – der beschauliche »Klostergarten« an. Tatsächlich gehörten die ältesten Bauteile des heutigen Museums einst zum Greifswalder Franziskaner-Kloster (gegründet 1262, nach dem Einzug der Reformation in der Stadt 1556 aufgehoben, danach Armenschule).
Doch bevor ich mich in der bunten Kräutervielfalt umschauen kann, stutze ich. Da steht einer, den ich hier nicht erwartet habe. Und ja, ein gelinder Schreck fährt mir ins Gemüt. Unverkennbar: der preußische König Friedrich II. (1712–1786), den manche den Großen nennen.
Ich habe im abgelaufenen Sommersemester viel über ihn zu sprechen gehabt, war doch die Zeit der Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) in meiner Habsburger-Vorlesung zu behandeln. Für die wahrhaft große Habsburgerin war eben dieser Friedrich der »böse Mann in Berlin«, der unmittelbar nachdem die junge, politisch noch gänzlich unerfahrene Frau die überaus schwierige Nachfolge ihres verstorbenen Vaters, also Kaiser Karls VI. (1685–1740), hatte antreten müssen, die scheinbar günstige Gelegenheit nutzte, um in die habsburgische Provinz Schlesien einzumarschieren und sie dauerhaft zu beanspruchen. Ohne jeden stichhaltigen Rechtstitel im Übrigen, womit Friedrich einen allein machtpolitisch motivierten Raubkrieg vom Zaun brach. Es ist nicht in erster Linie der Umstand, dass der ehrgeizige und skrupellose König auch meine schlesischen Vorfahren damit zu Zwangs-Preußen machte, der mir gehörige Distanz zu ihm zu gebieten scheint. Es ist mehr noch eben die kalte Vorgehensweise auf die vermeintliche Schwäche der jungen Mutter in Wien kalkulierend. Falsch kalkulierend. Denn ja, Friedrich II. hat Schlesien nach drei Kriegen im Frieden von Hubertusburg (Januar 1763) schließlich festhalten können. Aber um welchen Preis? Für seine Untertanen, seine Soldaten – und etwa auch die Untertanen des zunächst unbeteiligten sächsischen Kurfürsten, dessen Territorium Friedrich nicht minder skrupellos wiederholt zum Hauptkriegsschauplatz (ohne förmliche Kriegserklärung) machte, um das angrenzende habsburgische Böhmen einfacher mit Krieg überziehen zu können. Nicht zuletzt mit jungen Männern aus Sachsen, die rigoros in die preußische Armee gepresst wurden. Tausende davon sind bei erster Gelegenheit desertiert, wohl ihnen! Dass man den Gewaltstreich von 1740 im 19. und im frühen 20. Jahrhundert verherrlicht hat, das kann ich mir mentalitätsgeschichtlich erklären, ja. Aber heute halte ich das für unangemessen.
Also gut, da steht er eben, Friedrich II. Aber der war doch hier niemals Landesherr! Greifswald gehörte erst zum Herrschaftsgebiet der Herzöge von Pommern, dann fiel es infolge des Dreißigjährigen Krieges 1648 mit Vorpommern an – das Königreich Schweden und dies für mehr als 180 Jahre. Caspar David Friedrich, für die ersten knapp 12 Jahre seines Lebens immerhin noch ein Zeitgenosse eben dieses anderen Friedrich, war demnach von Geburt an kein preußischer, sondern vielmehr schwedischer Untertan. Als der Maler 1798 nach Dresden, somit ins Kurfürstentum Sachsen kam, war der Ersatzbau der Kreuzkirche, der evangelischen Hauptkirche inmitten der Stadt also, noch nicht ganz abgeschlossen. Der aus dem Mittelalter und der Renaissance stammende Vorgängerbau war nämlich während der (vergeblichen) Belagerung durch die Truppen Friedrichs II. im Sommer 1760 so gründlich zerschossen worden, dass ein Wiederaufbau nicht möglich war. Ein kaum minder berühmter Kollege Caspar David Friedrichs, nämlich Bernardo Bellotto, genannt Canaletto (1722–1780), hat die Trümmer der einstigen gotischen Hallenkirche 1765 eindrucksvoll festgehalten.
In der mithin noch ziemlich neuen Kreuzkirche hat Caspar David Friedrich 1818 Christine Caroline Brommer geheiratet, eine Dresdnerin. Und die Ehefrau aus Sachsen hat er bald darauf seiner Familie im heimatlichen Greifswald vorgestellt, das inzwischen – preußisch geworden war. Dies aber erst 1815 durch den Wiener Kongress, der bei der großen Umverteilung der Territorien des untergegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (das in den über 800 Jahren seiner Existenz 21 Könige bzw. Kaiser aus dem Haus Habsburg, aber keinen aus dem Haus Hohenzollern hatte) das bisher schwedische Vorpommern dem Königreich Preußen zusprach. Da war jedoch Friedrich II. schon fast drei Jahrzehnte tot. Bei Gelegenheit des Familienbesuchs im gerade erst preußisch gewordenen Greifswald zur Vorstellung seiner jungen Ehefrau hat Caspar David Friedrich übrigens ein schönes Aquarell vom Marktplatz seiner Heimatstadt gemalt. Und das Original ist zu besichtigen – im Pommerschen Landesmuseum.
Also, ich kann mir nicht helfen, aber Friedrich II. ist hier irgendwie fehl am Platz, wie er da in Bronze steht. Na gut, ich mache mich kundig: Künstlerisch ist die Statue beileibe nicht unbedeutend, im Gegenteil. Stammt sie doch ursprünglich von keinem Geringeren als Johann Gottfried Schadow (1764–1850), dem gebürtigen Berliner, der zehn Jahre älter war als Caspar David Friedrich und diesen um zehn Jahre überlebt hat. Schadows Quadriga auf dem Brandenburger Tor (1793) und das berückend schöne mecklenburgische Prinzessinnenpaar Friederike (1778–1841) und Luise (1776–1810, die spätere preußische Königin) kennt nun wirklich jeder. Und Schadows Luther-Denkmal in Wittenberg (1821) kennen jedenfalls viele. Bei der heute im »Klostergarten« stehenden Statue Friedrichs II. handelt es sich um einen viel späteren Abguss einer von Schadow ursprünglich 1791/93 aus weißem Marmor angefertigten Auftragsarbeit, die ihren Platz in Stettin fand. Stettin, auch eine pommersche Stadt, das heute polnische Szczecin, war lange vor Greifswald preußisch geworden, aber nicht durch Friedrich II., sondern bereits durch dessen Vater Friedrich Wilhelm I. (1688–1740), nämlich infolge des Friedens von Stockholm 1720. Immerhin war Friedrich II. dort dann seit 1740 Landesherr. Das Stettiner Original ist dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen.
Um des großen Künstlers Schadow willen, der ja obendrein der Vater unseres »Düsseldorfer Schadow«, nämlich Wilhelm von Schadows (1788–1862) war, mag der von mir nicht eben geliebte König da stehen bleiben, sein Verbleib ist ja ohnehin nicht meine Sache, na sicher, und ich wollte doch eigentlich in den Klostergarten. Doch halt – da sehe ich etwas, das die Greifswalder Statue unversehens zu meinem bisherigen Lieblingsdenkmal für Friedrich II. macht.
Justament auf dem Degenknauf des kriegerischen Königs hat eine Amsel ihr Nest gebaut. Mit der Behütung der Amselkinder hat er also noch eine Zukunftsaufgabe, der Monarch, der fern aller anderen Menschen, aber neben seinen Hunden im Schlosspark von Sanssouci begraben werden wollte.
Der vielfältige Klostergarten im Hof des Pommerschen Landesmuseums ist, wenn man an Friedrich erst einmal vorbeigekommen ist, eine gute Vorbereitung für die letzte Station bei diesem Besuch in Greifswald. Wer dorthin kommt, darf nämlich eines nicht auslassen:
Eldena
Heute handelt es sich um einen Ortsteil von Greifswald, nur wenige Kilometer vom historischen Stadtzentrum entfernt, mit dem Auto binnen weniger als 15 Minuten erreichbar. Historisch gesehen müsste die Besuchsreihenfolge allerdings eigentlich umgekehrt sein: zuerst Eldena, dann Greifswald. Denn ersteres war eher da, genauer gesagt das Zisterzienser-Kloster Eldena, das 1199 begründet wurde. Wer diesen Ort besucht, folgt also einmal mehr zisterziensischen Spuren – und damit einem bedeutenden Strang der europäischen Geschichte der Vormoderne. Und es handelt sich um einen Strang, der zum gemeinsamen europäischen Erbe hinführt, das durch die nationalstaatliche Ideologie der Moderne zeitweilig verdeckt wurde, an das aber heute im gemeinsamen Haus Europa nachdrücklicher denn je erinnert werden sollte. Wir haben bei Studienreisen und Exkursionen des Gerhart-Hauptmann-Hauses in den letzten zwei Jahren nicht von ungefähr zisterziensische Stätten in Altenberg (bei Köln), Heisterbach (bei Königswinter), Eberbach (bei Wiesbaden), Maulbronn (bei Pforzheim), Bebenhausen (bei Tübingen), Walkenried (bei Nordhausen), Pforta (bei Naumburg/Saale), Chorin (bei Eberswalde), Lehnin (bei Brandenburg an der Havel), Marienthal (bei Görlitz, ein aktives Zisterzienserinnen-Kloster), Oliva (bei Danzig/Gdansk, Polen), Leubus/Lubiąż (bei Liegnitz/Legnica, Polen), Grüssau/Krzeszów (bei Landeshut/Kamienna Góra, Polen) und Kerz/Cârța (bei Hermannstadt/Sibiu, Rumänien) besucht.
Der Mönchsorden der Zisterzienser wurde im ausgehenden 11. Jahrhundert im östlichen Frankreich (damals Herzogtum Burgund bzw. Grafschaft Champagne) gegründet. Ausgehend von der Ordensregel des Hl. Benedikt (um 480–547) verfolgten die Gründer der Zisterzienser das Ziel zu den ursprünglichen Grundsätzen der Mönchsgemeinschaft zurückzukehren, also ein dem Gebet und der körperlichen, vor allem landwirtschaftlichen Arbeit gewidmetes frommes Leben in Armut zu führen. Sie suchten dabei gezielt die Abgeschiedenheit bisher wenig oder gar nicht besiedelter Orte. Dort bauten sie ihre Klosteranlagen aufgrund eines einheitlichen, im Laufe der Zeit freilich verschiedentlich variierten Konzepts. Die geistliche Strahlkraft der zisterziensischen Idee bedingte eine geradezu explosionsartige Ausdehnung von weiteren Klostergründungen (schließlich rund 700 in ganz Europa), deren Ausgangspunkt die zunächst fünf im heutigen Osten Frankreichs gelegenen »Primarabteien« (Cîteaux, La Ferté, Pontigny, Morimond, Clairvaux) waren. Dabei blieben alle Folgegründungen untereinander eng vernetzt. Schon 1123 wurde mit Kloster Kamp (unweit von Duisburg) die älteste auf heute deutschem Territorium gelegene Zisterzienserabtei gegründet, und zwar von Morimond aus. Die rund 70 Jahre später erfolgende Gründung der Abtei Eldena aber ging vom dänischen Zisterzienserkloster Esrom (etwa 50 Kilometer nördlich von Kopenhagen) aus; die Abtei in Esrom war wiederum von Clairvaux aus gegründet worden. An der Gründung von Zisterzienserklöstern waren oft weltliche Herrschaftsträger vor Ort beteiligt, im Falle Eldenas war dies Jaromar I. (um 1141–um 1218), der Fürst des vor allem auf Rügen lebenden westslawischen Volkes der Ranen, die sich einige Jahrzehnte zuvor der dänischen Lehenshoheit unterstellt hatten. Jaromar war es auch, der dem neu gegründeten Kloster Grundbesitz verlieh und die Erlaubnis erteilte, diesen, soweit er nicht in Eigenwirtschaft durch die Mönche selbst genutzt wurde, zur Urbarmachung mit zugewanderten Siedlern zu besetzen. Es kamen Deutsche, Dänen und slawische Wenden – Nationalität im späteren Sinne spielte auch hierbei keine Rolle. Auch die Ursprünge Greifswalds liegen hier: das spätere Stadtgebiet gehörte zu den klösterlichen Besitzungen. 1250 erhielt die Ansiedlung das Stadtrecht durch Herzog Wartislaw III. von Pommern-Demmin (um 1210–1264), der zuvor den Ort vom Kloster zu Lehen genommen hatte. Da Greifswald an der Kreuzung zweier Handelswege lag, begann damit der Aufstieg der Stadt zu einer bedeutenden Hansestadt, die allerdings angesichts der schlechteren Nutzbarkeit der Hafenanlagen verhältnismäßig rasch gegenüber Stralsund oder Rostock ins Hintertreffen geriet. Die vom Greifswalder Bürgermeister Heinrich Rubenow (um 1400–1462) betriebene und dann 1456 von Herzog Wartislaw IX. (um 1400–1457) vollzogene Gründung der Universität machte Greifswald dann aber langfristig zum wichtigsten Bildungszentrum der Region. Sie ist die sechstälteste der heute noch in Deutschland existierenden Universitäten.
Die Mönche von Eldena haben bald nach der Begründung des Klosters damit begonnen, dessen Herzstück zu errichten, nämlich die Klosterkirche. Diese war ungefähr um die Zeit fertiggestellt, als Greifswald Stadtrecht erhielt, also Mitte des 13. Jahrhunderts. Nicht zufällig wurden in der Kirche, dem vorerst größten Sakralbau der Region, auch einige Herzöge von Pommern und andere Adelige aus der Umgebung beigesetzt. Als 1534 – also zu einem vergleichsweise sehr frühen Zeitpunkt – in den pommerschen Herzogtümern die Reformation eingeführt wurde, ging die große Zeit der Zisterzienserabtei Eldena zu Ende. Die Klostergüter wurden in herzoglichen Besitz überführt. Die verbliebenen Mönche verließen zumeist das Kloster, nur der letzte Abt und sein Prior konnten dort bis zu ihrem Tod wohnen. 1634 wurde der größte Teil der früheren Klostergüter nebst den Baulichkeiten vom letzten Herzog von Pommern Bogislaw XIV. (1580–1637), mit dem das Herzogsgeschlecht erlosch, der Universität Greifswald übertragen. Als Pommern wenig später im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges nicht zuletzt von schwedischen Truppen schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, erlitten auch die Klostergebäude gravierende Schäden. Nicht mehr genutzt, wurden sie später einschließlich der Kirche als Steinbruch verwendet. Mancher Stein, der heute noch zu historischen Gebäuden im Stadtkern Greifswalds gehört, ist zisterziensischen Ursprungs.
Als Caspar David Friedrich 1774 in Greifswald geboren wurde, gab es vor den Toren der Stadt also nur noch eine Ansammlung von Ruinen der einstigen Klostergebäude. Doch selbst diese ließen die einstige monumentale Größe insbesondere der Klosterkirche erahnen.
Allein der gewaltig aufragende Rest der Westfassade mit dem gigantischen, freilich längst glaslosen Fenster und die nicht minder imposanten Säulenstümpfe faszinieren bis heute. Und sie faszinierten auch Caspar David Friedrich, der die Ruinen von Eldena immer wieder zeichnete, malte und in Bildkompositionen übertrug. Damit hat der Maler wesentlich dazu beigetragen, das atmosphärisch reiche Relikt einstiger Größe bekannt zu machen. Auch andere erkannten den historischen und kulturgeschichtlichen Rang dieser Überreste und setzten sich für die Bewahrung des noch Vorhandenen ein, etwa Karl Friedrich Schinkel, dem unter anderem die Erhaltung der Reste des einstigen Zisterzienser-Klosters Chorin, etwa 70 Kilometer nordöstlich von Berlin zu verdanken ist.
Das heutige Aussehen des Klostergeländes von Eldena ist maßgeblich davon geprägt, dass um die von Caspar David Friedrich bekannt gemachten Ruinen herum seit den späten 1820er-Jahren ein Park angelegt wurde, der auf Pläne des berühmten Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné (1789–1866) zurückgeht, einem gebürtigen Rheinländer aus Bonn, der übrigens familiäre Wurzeln im heutigen Belgien hatte.
Caspar David Friedrich hat, wie schon gesagt, die beeindruckenden Überreste der einstigen Zisterzienserabtei Eldena mehrfach künstlerisch verarbeitet. Dabei hat er sie gelegentlich auch gewissermaßen geographisch »versetzt«. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Bild, das Eldena im schlesischen Riesengebirge zeigt. Es ist um 1834 entstanden.
Wer das Bild im Original sehen möchte – der muss ins Pommersche Landesmuseum in Greifswald gehen. Egal, ob das »originale« Eldena davor oder danach besucht wird, beides lohnt ungemein. Im Pommerschen Landesmuseum gibt es dieses Jahr noch mehr von und über Caspar David Friedrich zu sehen (www.pommersches-landesmuseum.de/ausstellungen/caspar-david-friedrich-2024). Und das ganz ohne Warteschlange. Nichts wie hin!
Ein Text von Winfrid Halder
1 https://www.ndr.de/kultur/Fenster-von-Olafur-Eliasson-in-Greifswalder-Dom-eingeweiht,eliasson166.html und Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 183 vom 8. August 2024, S. 13
2 www.dom-greifswald.de/startseite.html
Fotos: Winfrid Halder