Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind derzeit weltweit rund 110 Millionen Menschen von Flucht und Vertreibung betroffen (Stand: Juni 2023). Was sind da schon 100.000?
So zu fragen ist natürlich purer, inakzeptabler Zynismus. Dennoch mag der Gedanke hier und da aufkommen. Und er würde immerhin bedeuten, dass das Schicksal der konkret betroffenen 100.000 Menschen überhaupt wahrgenommen wird. Gebührt doch diesen Menschen genau so viel Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft wie den vielen Millionen anderen, die durch kriegerische Auseinandersetzungen und gezielte Vertreibungen ihre Heimat verloren haben, hier und jetzt. Daher ist es notwendig, an den in seinen Wurzeln Jahrhunderte zurückreichenden, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 in eine neue, bislang unabgeschlossene Phase eingetretenen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan und seine beklemmenden Folgen zu erinnern.
Mit einer militärischen Blitzaktion hat sich das autoritär regierte Aserbaidschan im September 2023, vor wenigen Monaten also, aufgrund anderer, größerer gewaltsamer Auseinandersetzungen zumindest in Deutschland nur wenig bemerkt, der lange umstrittenen Region Bergkarabach bemächtigt. Das benachbarte Armenien konnte kaum etwas zugunsten der überwiegend armenischen Bevölkerung Bergkarabachs tun, welche 1991 ihre von aserbaidschanischer Seite niemals anerkannte Unabhängigkeit erklärt hatte. Bereits seitdem kam es immer wieder zu äußerst blutigen Kämpfen. Nunmehr scheint die Entscheidung zugunsten Aserbaidschans gefallen zu sein; mit der bislang letzten Konfliktphase wurde Bergkarabach nicht nur vollständig von aserbaidschanischen Streitkräften besetzt, sondern auch nahezu die gesamte armenische Bevölkerung der Region vertrieben.
Die große Mehrzahl der etwa 100.000 aus Bergkarabach vertriebenen Menschen ist nach Armenien geflohen. Für ein Land mit rund 2,8 Millionen Einwohnern insgesamt sind 100.000 zusätzlich zu versorgende Menschen durchaus nicht wenig. Und Aserbaidschans Gebietsforderungen sind keineswegs befriedigt – eine weitere militärische Eskalation, diesmal unter unmittelbarer Beteiligung Armeniens, könnte bevorstehen.
Stephan Malerius ist als Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz im georgischen Tiflis einer der besten deutschen Kenner der Region und ihres Konfliktpotenzials, das keineswegs so fern von uns ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn dem Südkaukasus kommt auch im russischen Großmachtstreben eine besondere Bedeutung zu. Insofern dürfte die Veranstaltung für die meisten Deutschen sehr erhellend sein.►►► Die Veranstaltung wird als Videokonferenz durchgeführt (via Zoom):
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