ONLINE Veranstaltung im Rahmen der Russlanddeutschen Kulturtage 2021
Über 75 Jahre liegt der letzte Weltkrieg schon zurück, doch nicht alle Wunden sind verheilt, nicht alle Opfer betrauert. Der Krieg hatte die Leben vieler junger Menschen unbarmherzig niedergewalzt und zermalmt, darunter auch die der blutjungen Deutschen in der Ukraine, die mit dem Einmarsch der deutschen Truppen als sogenannte Volksdeutsche zur Wehrmacht einberufen, an die Front geschickt wurden und nach Kriegsende mit entsprechenden Konsequenzen den Sowjets in die Hände gefallen waren. Als Opfer zweier verbrecherischer Systeme – des Hitlerregimes und der Stalindiktatur – mussten sie die Schuld Hitlerdeutschlands bis in ihre letzten Tage sühnen, sie und ihre Kinder. Die Lost Generation der Russlanddeutschen? Zweifelsohne. Arthur Gerbers Schicksal ist nur eines von vielen, aber es ist beispielhaft für Tausende von jungen Russlanddeutschen, die von der Kriegsmaschinerie zermalmt wurden. Arthur ist kein Täter, er ist ein Opfer seiner Zeit, der böswilligen Kräfte, die willkürlich über Menschenschicksale entschieden. Er hat seine Liebe nicht verraten, hat sie in seinem Herzen bewahrt und durch sein ganzes Leben getragen, aber er hat versucht zu überleben – unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen. Und dieser Versuch forderte seinen Preis. Wer in die Versuchung kommen sollte, ihn zu verurteilen, der stelle sich selbst die Frage, wie er unter diesen Umständen gehandelt hätte, und gebe darauf eine ehrliche Antwort. Der einzige Halt für die Deutschen in Russland war ihr Deutschtum, und man sollte nicht voreilig den Stab über meine Helden brechen: der Erhalt des Deutschtums, und zwar nicht nur in Russland, sondern in der ganzen Welt, hängt einzig und allein davon ab, wie fest man an seiner Herkunft, am Glauben seiner Ahnen, an den Traditionen festhält. Hätten wir es nicht getan, wären wir zu Russen, Tataren, Kasachen, Kirgisen etc. geworden. So aber sind wir geblieben, was wir immer waren – schlicht und ergreifend Deutsche.
Nelli Kossko wurde 1937 in einer deutschen Kolonie in der Ukraine in der Familie des Deutschlehrers Oskar Maser geboren, der im selben Jahr auf dem Höhepunkt des roten Terrors in der Sowjetunion als deutscher Spion erschossen wurde. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Ukraine wurden ihre beiden Brüder als Volksdeutsche zur Wehrmacht einberufen und sie selbst mit ihrer Mutter nach Deutschland ausgesiedelt. Nach Kriegsende wurden Mutter und Tochter von den Sowjets zu lebenslänglicher Verbannung und Zwangsarbeit verurteilt und in das Gebiet Magadan (an der Beringstraße) deportiert. 1955 wurden die Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in der sogenannten »Sondersiedlung« befanden, aufgehoben, sodass Nelli Kossko 1956 nach dem Abitur ein Studium an der Hochschule für Fremdsprachen aufnehmen konnte. Von 1962 bis 1973 lehrte sie Germanistik an verschiedenen Hochschulen für Fremdsprachen der Sowjetunion und wanderte 1975 mit ihrer Familie nach Deutschland aus. Hier arbeitete sie ca. 20 Jahre beim Auslandssender »Deutsche Welle«, zunächst als Übersetzerin und Sprecherin, später als Redakteurin. All die Jahre, auch als sie schon im Ruhestand war, kümmerte sie sich um die Belange der russlanddeutschen Aussiedler, schrieb Abhandlungen, Artikel, Erzählungen und Bücher zu diesem Thema – auf Deutsch und auf Russisch. 2008 wurde Nelli Kossko mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.