Vortrag mit Textbeispielen von Dr. Katja Schlenker und Prof. Dr. Winfrid Halder
Vermutlich würde heute niemand mehr wissen, wer Wilhelm Voigt war, hätte er nicht einmal in seinem ansonsten eher trüben Leben eine zündende Idee gehabt. Der 1849 im ostpreußischen Tilsit geborene Voigt folgte seinem Vater im Beruf des Schuhmachers, kam allerdings schon als Heranwachsender mit dem Gesetz in Konflikt. Als 57jähriger hatte er 1906 deutlich mehr als die Hälfte seines Daseins in verschiedenen preußischen Haftanstalten verbracht, verurteilt wegen Diebstahls, Raub, Urkundenfälschung und anderen Delikten. Nun wollte Voigt sich wohl ein ruhigeres Leben verschaffen, als er älter wurde. Der »Coup«, den er sich dazu ausdachte, hat dem straffälligen Schuster aus Ostpreußen als falscher »Hauptmann von Köpenick« eine Art Unsterblichkeit verschafft. Voigt hatte sich eine Hauptmannsuniform besorgt und diese am 16. Oktober 1906 angelegt, woraufhin eine ihm zufällig begegnende kleine Formation von Soldaten sofort seinen Befehlen folgte. Mit seinen »Untergebenen« besetzte er das Rathaus der damals noch vor Berlin liegenden Stadt Köpenick, stellte den verdutzten, aber ebenfalls gehorchenden Bürgermeister unter Arrest und entschwand dann mit der mehrere Tausend Mark enthaltenden Stadtkasse. Als Voigt einige Tage später verhaftet wurde, war er schon eine Berühmtheit und wurde es erst recht durch den folgenden Prozess, der ihn wieder ins Gefängnis brachte. Kaiser Wilhelm II., der kaum etwas so liebte wie prächtige Uniformen, zeigte einigen Humor und begnadigte Voigt bald darauf. Danach lebte der »Hauptmann« zeitweilig nicht schlecht von der Vermarktung seiner Geschichte. Aus der hat Carl Zuckmayer 1931 eines der erfolgreichsten deutschen Theaterstücke des 20. Jahrhunderts gemacht.