Kein Land für einfache Antworten. Vorträge von Dr. Wolfgang Kessler
Bis zum Beginn der 1990er-Jahre gab es wohl für die meisten Westdeutschen nur »Jugoslawen«, die allerdings zahlreich. Schon zu Beginn der 1960er-Jahre waren weit mehr als 10.000 »Gastarbeiter« aus Jugoslawien in die BRD gekommen. Diese von den vielen politischen Emigranten zu unterscheiden, die früher als Gegner des kommunistischen Tito-Regimes ihre Heimat verlassen hatten, war nicht ganz leicht – in die Schlagzeilen gerieten beide Gruppen allenfalls, wenn es gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen ihnen gab. Nach dem Anwerbeabkommen zwischen der Bonner und der Belgrader Regierung, das im Oktober 1968 abgeschlossen wurde, erhöhte sich die Zahl der in Westdeutschland arbeitenden jugoslawischen Staatsangehörigen rasch auf mehrere Hunderttausend. Dass es sich um Angehörige verschiedener nationaler Gruppen handelte, trat vielen Bundesbürgern erst mit dem über weite Strecken gewaltsam ausgetragenen Zerfall Jugoslawiens seit 1990/91 vor Augen – denn die Jugoslawen waren eben Serben, Kroaten, Slowenen, Bosnier unterschiedlicher Prägung, Kosovaren und einige mehr. Die Vorgeschichte des Konfliktes, der neuerlich Hunderttausende, jetzt als Kriegsflüchtlinge nach Deutschland trieb, wird nur durch einen differenzierten Blick in die historischen Eigenarten und Gemeinsamkeiten der erst infolge des Ersten Weltkrieges in einem Staatsgebilde zusammengefassten Völkerschaften deutlich. Diese Voraussetzungen bestimmen die komplizierten Verhältnisse in und zwischen den EU-Mitgliedsstaaten Kroatien und Slowenien sowie Serbien und Bosnien-Herzegowina, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben.
Dr. Wolfgang Kessler, langjähriger Direktor der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne, ist ein ausgewiesener Experte für die komplexe und teilweise widerspruchsvolle Geschichte Südosteuropas.
Siehe auch: Geschichte Serbiens im Abriss, 05. Februar, 19:00 Uhr