GHH, Bismarckstraße 90, 40210 Düsseldorf | Kontakt | Vermietung | Datenschutz | Impressum

© Stevan Kragujević_CC BY-SA 3.0 RS via Wikimedia Commons
© Stevan Kragujević_CC BY-SA 3.0 RS via Wikimedia Commons
 

Ivo Andric und seine bosnische Heimat.

Vortrag und Lesung mit Dr. Katja Schlenker und Prof. Dr. Winfrid Halder

Stellt man heute jemandem in einem der Nachfolgestaaten Jugoslawiens, das in den 1990er Jahren in einer Kette von gewaltsamen Konflikten zerbrach, die Frage wer Ivo Andric war, erhält man, so es sich um literaturinteressierte Gesprächspartner handelt, vermutlich sehr verschiedene Antworten – in Abhängigkeit davon, wo und wem man die Frage stellt. Im EU-Partnerland Kroatien wird wohl mancher ohne Zögern sagen: der bisher einzige kroatische Schriftsteller, der den Literaturnobelpreis erhalten hat. In Serbien, ein Land immerhin mit EU-Beitrittskandidatenstatus, wird es womöglich heißen: der bisher einzige serbische Schriftsteller, der den Literaturnobelpreis erhalten hat. Und in Bosnien, der engeren Heimat Andrics, wird es wohl noch stärker davon abhängen, an wen die Frage gerichtet wird und wo, vielleicht sind es Nachbarn, die unterschiedliche Antworten geben.

Welche Antwort man auch immer erhält: Sie dürfte nur teilweise wahr sein, wenn sie nicht ziemlich lang und kompliziert ausfällt. Denn die 83 Lebensjahre Ivo Andrics waren lang, kompliziert und spielten sich in einer komplizierten Umgebung ab. In kürzester Form: Geboren wurde er als österreichisch-ungarischer Untertan in einer katholischen bosnisch-kroatischen Familie, aufgewachsen in Višegrad, direkt an der Grenze zu Serbien, dessen Brücke über den Grenzfluss Drina er später zu literarischem Weltruhm verhelfen sollte. Als Absolvent eines deutschsprachigen Gymnasiums in Sarajewo bewegte er sich zeitweilig im Dunstkreis der serbischen Attentäter, die mit ihrem Mordanschlag auf den habsburgischen Thronfolger Franz Ferdinand im Juni 1914 den Ersten Weltkrieg mit auslösten. Als Student in Zagreb, Wien, Krakau und Graz erwarb er 1924 mit einer auf Deutsch geschriebenen Dissertation einen Doktortitel. Da war er schon in den diplomatischen Dienst des Staates eingetreten, den man nach dem Ersten Weltkrieg der Einfachheit halber »Jugoslawien« zu nennen begann, da »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« zu lang war – wenngleich im Staatsnamen doch einige Ethnien in seinen Grenzen unterschlagen wurden. Nach vielen diplomatischen Stationen in vielen Teilen Europas wurde er 1939 schließlich jugoslawischer Botschafter in Berlin, der Hauptstadt NS-Deutschlands also. Trotzdem konnte auch Andric – in heikelster diplomatischer Mission – den Jugoslawien zerstörenden Krieg Deutschlands und Italiens gegen sein Land nicht verhindern. Anschließend fand man ihn inkognito in Belgrad schreibend und große Romane veröffentlichend, danach dann im kommunistisch gewordenen Jugoslawien unter dem Diktator Tito lavierend – und doch spätestens seit der Verleihung des Literaturnobelpreises 1961 auch nolens volens dessen literarisches Aushängeschild… Das ist, wohlgemerkt, die einfachste Version, die sehr viel weglässt. Keiner hat über das komplizierte Land Bosnien so eindringlich geschrieben wie Ivo Andric, der Autor mit dem komplizierten Lebenslauf. In dieser Veranstaltung  werfen wir einen Blick auf sein Leben und seine Texte.