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Joseph Roth, 1926
Joseph Roth, 1926
 

Joseph Roth, die Ukraine, das Anwachsen des Rechtsextremismus und mehr.

Vortrag mit Textbeispielen zum 85. Todestag von Joseph Roth mit Dr. Katja Schlenker und Prof. Dr. Winfrid Halder

»Manchmal wird eine Nation modern. […] Nun sind es die Ukrainer. Die Ukrainer, von denen man bei uns und im übrigen Westen nicht viel mehr weiß, als daß sie irgendwo zwischen Kaukasus und Karpaten wohnen …« Dieser Text wurde nicht etwa, sagen wir Anfang Februar 2022 geschrieben, sondern er ist mehr als hundert Jahre älter. Erschienen ist er zuerst im Dezember 1920 in der Neuen Berliner Zeitung. Die verblüffende, unsereinen auch ein Stück weit beschämende oder gar bestürzende Aktualität hat er mit vielen Texten Joseph Roths gemeinsam. Roth ist heute gewiss noch vielen als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Romanciers des 20. Jahrhunderts geläufig. Der allerdings seltene Umstand, dass praktisch alle erzählerischen Werke eines Autors, der vor mehr als acht Jahrzehnten starb, in aktuellen Ausgaben im Buchhandel erhältlich sind, liefert einen beachtlichen Hinweis auf das anhaltende Interesse an Joseph Roth. Dabei hat seine Karriere als Schreibender im Journalismus begonnen und er hat auch journalistisch gearbeitet bis zu seinem frühen Tod mit noch nicht ganz 44 Jahren.

Roth begann als ein Schreibender, der sich nicht nur mit der Ukraine weit besser auskannte als die meisten Menschen damals (und, ja, leider auch viel später) in Deutschland, sondern zugleich als einer, der seine politische Gegenwart mit stets wachen Augen und Ohren wahrnahm und pointiert zu analysieren und zu beschreiben verstand. Die Ukraine kannte er, weil er von dort stammte und die ersten knapp 20 Jahre seines Lebens dort zubrachte. Er wurde 1894 in Brody geboren, heute in der Westukraine gelegen, damals zur habsburgischen Provinz Galizien gehörend, in deren Hauptstadt Lemberg/Lwów/Lviv Roth später Germanistik und Philosophie studierte. Das alte habsburgische Österreich-Ungarn sollte für Roth ein Lebensthema bleiben, auch wenn ihn dessen Zerfall am Ende des Ersten Weltkriegs nach Deutschland brachte, wo er hauptsächlich lebte und arbeitete, wenn er sich nicht gerade auf einer seiner zahllosen Reisen durch ganz Europa und darüber hinaus befand. Die politische Szenerie in der ersten 1918/19 begründeten deutschen Demokratie war ihm also auch bestens bekannt, und er beleuchtete sie stets hellsichtig in seinen journalistischen Arbeiten, die er für den sozialdemokratischen »Vorwärts«, aber auch die »Frankfurter Zeitung« und andere Blätter schrieb. Und auch seine frühen erzählerischen Versuche standen in Verbindung damit: Roths erster, unvollendet bleibender Roman »Das Spinnennetz« handelt von der Entstehung eines fiktiven rechtsextremen, antisemitischen und gewalttätigen Netzwerks in München unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der Vorabdruck erschien in der Wiener »Arbeiterzeitung« und endete am 6. November 1923 – also drei Tage vor dem »Hitler-Putsch«, der nur allzu real war.

Seit Anfang 1933 war für Roth in Deutschland kein Bleiben mehr, passte er doch nahezu perfekt in das Feindbild der gerade installierten NS-Machthaber: jüdischer Herkunft, links, wortmächtiger Journalist. Er ging in sein geliebtes Frankreich, was ihn freilich nicht vor der wachsenden Verzweiflung über die Zustände vor allem in Deutschland und Österreich bewahrte. Am 27. Mai 1939 starb Joseph Roth, längst schwer alkoholkrank in Paris. Wir erinnern an ihn mit ausgewählten journalistischen Texten, die allzu oft klingen, als seien sie gestern geschrieben.

 

In Kooperation mit: Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Düsseldorf e.V.