Michail Bulgakow hatte schon einiges erlebt und war auf vieles gefasst, damit aber hatte er nicht gerechnet: Als am 18. April 1930 das Telefon in seiner Moskauer Wohnung klingelte, war Josef Stalin höchstselbst am Apparat. Der gebürtige Georgier Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, der sich während des illegalen Kampfes der Anhänger Wladimir Iljitsch Lenins gegen die Herrschaft des Zaren in Russland schon vor dem Ersten Weltkrieg den Tarnnamen Stalin zugelegt hatte, war seit Ende der 1920er Jahre faktisch der Alleinherrscher in der noch jungen Sowjetunion. Nachdem Lenin – die bis dahin unumstrittene Führungsfigur der Bolschewiki, der sowjetischen Kommunisten also – im Januar 1924 gestorben war, hatte sich Stalin Schritt für Schritt in den folgenden innerparteilichen Machtkämpfen durchgesetzt. Mit dem Aufstieg Stalins war nicht nur eine wirtschafts- und außenpolitische Kurskorrektur verbunden, auch die bis dahin verhältnismäßig offene und Neuerungen aufgeschlossene Kulturpolitik in der Sowjetunion kam nun unter den direkten Einfluss des »Woschd«, des »Führers«, wie er sich seit 1929 gerne titulieren ließ. Und der stand Intellektuellen, Künstlern, ja allen Protagonisten des kulturellen Lebens mit Misstrauen gegenüber. Stalins (Kunst-)Geschmack wurde, nicht eben fortschrittsfreundlich, zur maßgeblichen Leitlinie auf den sämtlich staatlich kontrollierten (Theater-)Bühnen, in Konzertsälen, Verlagen usw. Und politische Korrektheit, insbesondere mit Blick auf den unfehlbaren »Woschd« wurde ohnehin erwartet – und rigoros durchgesetzt.
Das konnte auch für die Existenz des noch jungen Dramatikers und Romanciers Michail Bulgakow nicht ohne Folgen bleiben. Der 1891 in Kiew in einem bürgerlichen und bildungsaffinen Elternhaus geborene Bulgakow war im Bürgerkrieg, in dessen Verlauf aus dem zerfallenden Zarenreich die von den Bolschewiki von Beginn an als »proletarische Diktatur« angelegte Sowjetunion hervorgegangen war, kein Anhänger Lenins gewesen. Er blieb zeitlebens gegenüber der kommunistischen Idee ausgesprochen distanziert – und verheimlichte dies auch nicht. Ursprünglich Arzt, jedoch auch bald mit ausgeprägter Neigung zur Satire schreibend, seit 1921 in Moskau lebend, hatte Bulgakow seit der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre erste Erfolge als Bühnenautor und Romanautor feiern können. Mit Stalins Machtdurchsetzung wurden nicht nur Bulgakow durch die Zensur immer engere Grenzen des literarischen Arbeitens und Publizierens gezogen, so dass er in existentieller Not in einem Brief an die sowjetische Staats- und Parteiführung um die Erlaubnis zur Ausreise gebeten hatte. Daraufhin erfolgte, für Bulgakow völlig überraschend und sicherlich als Vorgang äußerst ungewöhnlich, Stalins Anruf. Zwar durfte Bulgakow anschließend die Sowjetunion nicht verlassen, allerdings bekam er – offenkundig infolge eines entsprechenden Winkes von Stalin – wieder bessere Arbeits- und Publikationsmöglichkeiten. Vorübergehend. Denn Bulgakows Schaffen blieb geprägt von den ständigen Interventionen der Zensur. Als die sogenannten »Säuberungen«, die Massenverhaftungen, die in Hunderttausende von Hinrichtungen und die Lagerhaft von Millionen von Menschen mündeten, auf Geheiß Stalins immer radikaler durchgeführt wurde, lebte auch Bulgakow in ständiger Angst. Vielleicht hat ihn eine Laune des Diktators vor Verhaftung und Schlimmerem beschützt, was manch einer mutmaßte, vielleicht auch nur sein früher Tod am 10. März 1940.
Die versierte Übersetzerin Dr. Alexandra Berlina hat mit »Der Meister und Margarita« und »Hundeherz« jüngst zwei heute zur Weltliteratur zählende Schlüsselwerke Michail Bulgakows neu übersetzt, die beide erst Jahrzehnte nach seinem Tod – und dem Tod Stalins vor jetzt 70 Jahren am 5. März 1953 – publiziert werden konnten. Sie liest daraus und spricht über das leider noch immer allzu aktuelle Thema Literatur und Diktatur.